| Mutierende  Einheit in Spaltung!
 von Thomas Loch
 
 Zwanzig Jahre ist es her, als die  staatliche Einheit in diesem Land wieder hergestellt wurde. Die oft zitierte  Einheit gibt es nur im Überbau, speziell staatlicher Organisiertheit. Dabei  wird offensichtlich, dass sich die Ebenen der Spaltung verschoben haben und  mehrere Risse die Gesellschaft prägen.
 Nun ja, besonders an Jubeltagen  wird frohlockt und die Hofberichterstattung frohlock besonders intensiv, so  lässt die MZ 10 junge Menschen hochspringen, welche vor zwanzig Jahren geboren  wurden. Dabei verwundert nicht einmal, dass nur ein Junge dabei ist, sondern  auch dass die Auswahl insgesamt alles andere als repräsentativ ist. Es handelt  sich um Studentinnen  und einen Auszubildenden zum Medientechniker,  welcher anscheinend der Ehrenrettung wegen hinzugezogen wurde. Ob es für diese  jungen Menschen ein Glücksfall ist, wie den Worten des Chefredakteurs zu entnehmen,  kann zwar als rhetorischer Winkelzug, um ostdeutscher Vergangenheit einen  negativen Anstrich zu geben, gesehen werden, ändert aber nichts an der  Tatsache, dass diesen jungen Menschen das Leben in der DDR genauso fremd ist,  wie ansonsten für westdeutsche üblich.
 
 Historisch betrachtet gingen der  bejubelten Einheit in neuer Spaltung, die verschiedensten Spaltungen voraus.  Dabei seien historische Spaltungen vor 1945 einmal außer Acht gelassen, um sich  somit auf Spaltungen innerhalb der europäischen Nachkriegsordnung zu  beschränkt.
 
 Im Ergebnis des zweiten  Weltkrieges, welcher vom deutschen Boden ausgegangen ist, wurde das Land in  verschiedene Besatzungszonen unter den Siegermächten aufgeteilt. Dieses geschah  unter dem Gesichtspunkt, dem deutschen Faschismus und Militarismus ein wieder Erstarken  zu verwehren. Die östlichste Besatzungszone wurde der Sowjetunion, welche die  Hauptlast des Krieges zu tragen hatte und auf deren Seite die meisten Toten zu  beklagen waren, zugesprochen. Eine Spaltung war nicht vorgesehen, das Land  sollte als politische und wirtschaftliche Einheit fortbestehen. Diese  Entscheidungen waren schon vor Kriegsende von den späteren Siegermächten  getroffen worden. Als der Krieg zu Ende war und die Siegermächte ihre Zonen  besetzt hatten, erfolgte der nahtlose Übergang in die Zeit des Kalten Kriegs.  Die Nachkriegsordnung in Europa begann, Gestalt anzunehmen. Dabei wurde die  Spaltung Deutschlands wirtschaftlich 1948 mit der separaten Währungsreform in  den westlichen Besatzungszonen begründet und politisch durch die Gründung des  westdeutschen Separatstaates 1949 vollendet.
  Spätere Angebote vonseiten der  Sowjetunion gegenüber der BRD und den Westmächten, die deutsche Einheit wieder  herzustellen, wurden abgelehnt. So entwickelten sich zwei, voneinander verschiedene,  mit unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Ausrichtung angelegte,  deutsche Staaten. Die Grenzen zwischen diesen Staaten schied nicht nur DDR von  BRD, sondern auch das sozialistische Lager, vom kapitalistischen Lager im  Zentrum Europas. Die Entwicklungen in den beiden deutschen Staaten wurden  entscheidend vom Kalten Krieg geprägt, dabei wurden die Auseinandersetzungen  mit allen Mitteln des Kampfes, außer einem heißen Krieg, ausgetragen. Nicht nur  auf ökonomischem Gebiet wurde dieser besonders konsequent, mit allen zur  Verfügung stehenden Mitteln, geführt. Dieses wird heute oft vergessen, dabei  spielten Embargos gegenüber den sozialistischen Staaten eine genauso wichtige  Rolle, wie die materiellen Folgen aufgezwungenen Wettrüstens. Dass in diesem  Zusammenhang der Kampf auf politischem und ideologischem Gebiet mit derselben  Härte geführt wurde, muss nicht sonderlich erwähnt werden. Die Errichtung der „Mauer“  war ein Ergebnis dieser Auseinandersetzung, aber auch logische Konsequenz.
 Letztlich sind  die Ursachen  vielschichtig, welche zum Untergang der DDR führten und da die Sieger die  Geschichte schreiben, werden die eigentlichen Ursachen im dunkel bleiben und  solche konstruiert, welche dem eigenem Ansinnen am ehesten gerecht werden. Nur  bei aller Betrachtung, hinter allen Vorwürfen, steckt ein Vorwurf und das in  all seiner Verklärtheit, welcher der DDR gemacht wird, die Macht des Kapitals erheblich eingeschränkt  zu haben! In der DDR waren über 17 Millionen Menschen dem  direkten Einfluss des Kapitals entzogen, aber nicht nur dieses, die Wirkung war  wesentlich umfassender und beeinflusste selbst die Politik in der BRD. In der  Auseinandersetzung, im Klassenkampf auf staatlicher Ebene, war das Kapital  gezwungen Zugeständnisse zu machen, um zumindest einen humanen Anschein zu  waren und nicht ihre eigenen Argumentationen gegen den Sozialismus absurd  erscheinen zu lassen. Wie treffend diese Einschätzung ist, zeigen die  Ereignisse der letzten Jahre, wo immer kräftiger umverteilt wird, Einkommen  rückläufig sind, demokratische Rechte beschnitten werden und eine wachsende  Zahl von Menschen in Armut getrieben. Die Hartz-Gesetze und deren Folgen, aber  auch die jüngsten Ereignisse um Stuttgart 21, sind die besten Beispiele dafür.
 
 So gehen die Spaltungen weiter  und das nicht nur zwischen Ost und West, sondern vor allen zwischen oben und  unten, Reich und Arm, zwischen Interessen des Volkes und Kapitalinteressen,  letztlich zwischen Arbeiterklassen und Bourgeoisie. Dass Letzteres heute durch  die bürgerliche Ideologie noch erfolgreich verschleiert wird, ist genauso eine  Tatsache, wie die weitverbreiteten Illusionen über Demokratie und Politik. Nur  wird letztere selbst für Aufklärung durch ihre Taten sorgen, selbst wenn es  nicht in ihrem Interesse ist, sie wird nicht umhinkommen, in einer Zeit sich  zuspitzender Widersprüche. Die allgemeine Krise des Kapitals verschärft sich,  auch wenn andere Krisen durch konjunkturelle Phasen (deren Ursachen benannt  werden sollten) unterbrochen werden. Das in diesem Zusammenhang der Grundwiderspruch  des Kapitalismus immer offener in Erscheinung tritt ist eine Tatsache, welche  mit entsprechenden Konsequenzen verbunden ist.
 
 Es stimmt nicht, wenn der  Chefredakteur der MZ allgemein schreibt, „die deutsche Einheit ist  heute Realität“, sie ist zwischen Ost und West nicht Realität, aber  auch nicht in weiteren Bereichen gesellschaftlichen Lebens. Dabei ist das  System des Kapitals an einer wirklichen Einheit nicht einmal interessiert, ganz  im Gegenteil, es erhält, schafft und beschleunigt Spaltungen auf den  verschiedensten Gebieten. Es ist der Unterschied, selbst wenn er konstruiert  werden muss, welcher die Möglichkeit bietet Menschen gegeneinander  auszuspielen. Einheit, wie im Falle der deutschen Einheit, wird als ritueller  Akt verkündet, ohne wirklichen Inhalt, nur in seinem politischen Wesen. Somit  wurde auch ihr der eigentliche Inhalt genommen, wie so vielen anderen  Begriffen, welche somit inhaltslos und allgemein daher kommen, um einen  Schleier über konkrete Verhältnisse zu legen.
 
 Die eigentlichen Verhältnisse,  die eigentlichen Zustände offenbaren sich aber, wenn der Blick in die Realität,  auf das praktische Leben der Menschen, nicht gescheut wird. Dabei wäre zu  beachten, dass Millionen von Menschen nach der Wende vom Gebiet der ehemaligen  DDR vertrieben wurden, weil sie ihre Existenz dort nicht mehr sichern konnten,  noch mal soviel wurden zu Almosenempfänger degradiert, welche mittels prekärer  Beschäftigungsverhältnisse gezwungen werden, das allgemeine Einkommensniveau  weiter senken zu helfen.
 
 Nein, von Einheit kann keine Rede  sein, ganz im Gegenteil, der Prozess der Spaltung geht weiter und zwar quer  durch die Gesellschaft, dabei nähern sich Ost und West im Elend an und viele  Machenschaften des Kapitals wurden nach der Wende erst im Osten ausprobiert, um  sie dann auf den Westen zu übertragen. Des weiteren taugt ein konstatierter Ost  – Westunterschied immer noch dazu, erhebliche gesellschaftliche Mittel  umzuverteilen. So wurden/werden, nach dem das Volksvermögen der DDR  verschleudert war, nicht unerhebliche Mittel in den Osten gepumpt, um letztlich  in den Taschen westlicher Unternehmen zu landen.
 Wenn es eine Einheit in diesem  Lande gibt, dann eine Einheit des Elends, welches immer weitere Verbreitung  findet. Wenn es eine Einheit in diesem Land gibt, dann eine Einheit der  Spaltung, welche immer weiter ausgebaut wird, um Menschen von ihren  eigentlichen Interessen abzulenken. Wenn es eine Einheit in diesem Lande gibt,  dann eine Einheit des Kapitals, zur Beschleunigung der Umverteilung  gesellschaftlichen Reichtums, und der beschleunigten Ausbeutung immer breiterer  Bevölkerungsschichten. Wenn es eine Einheit gibt, dann eine Einheit der  Verblendung, Verzerrung, Entstellung der eigentlichen gesellschaftlichen  Verhältnisse.
 
 20 Jahre deutsche Einheit  bedeutet, zwanzig Jahre einheitlicher deutscher Staat, als Machtinstrument in  den Händen des Kapitals! 20 Jahre deutsche Einheit bedeutet, zwanzig Jahre  Imperialismus, auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. 20 Jahre deutsche  Einheit bedeutet, Wachstum und erneute Blüte deutscher, imperialer Interessen.  20 Jahre deutsche Einheit bedeutet, das Ende einer Epoche des Friedens in  Europa und wieder die Führung von Kriegen in der Welt. 20 Jahre deutsche  Einheit bedeutet, der beschleunigte Abbau sozialer und demokratischer Rechte.  20 Jahre deutsche Einheit bedeutet, die Verarmung immer breiterer Schichten der  Bevölkerung. Nun könnte diese Reihe fortgesetzt werden, letztlich wird es immer  auf eine Einheit in Spaltung hinauslaufen!
 Heute ist der 3.10. der Tag, an  welchem vor 20 Jahren die deutsche Einheit festgeschrieben wurde, in  staatlicher Einheit, mehr aber auch nicht weniger. Die Sieger schreiben die  Geschichte, was aber nicht bedeuten darf, dass man sich die Geschichte  vorschreiben lassen sollte. Somit sind zwanzig Jahre staatliche deutsche  Einheit auch Anlass, um nachzudenken über das Für und Wider, aber besonders  auch über die Ursachen. Sie kamen nicht von irgendwoher, sie hatte ihre  Vorgeschichte, welche ergründet werden muss, gerade auch um Schlussfolgerungen  für die Zukunft zu ziehen. Es gab viele Widersprüche in der DDR und letztlich  ist sie von den Menschen selbst aufgegeben worden. Sie mögen sich der  Konsequenzen nicht bewusst gewesen sein, warum das so war, verdient ergründet  zu werden.
 Quelle: http://kucaf.de/2010/10/02/gedanken-zu-03-oktober/
 |